Persönlichkeiten - Freigeistige Aktion

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Persönlichkeiten

Historisches

Ernst Haeckel
Prof. Ernst Haeckel war Gründer und von 1906 bis zu seinem Tode 1919 Ehrenpräsident des Deutschen Monistenbundes.
Ernst Haeckel wurde 1834 in Potsdam geboren. Nach seinem Abitur 1852 in Merseburg studierte er Medizien in Würzburg. 1856 war er Assistent bei Rudolf Virchow, 1857 promovierte er, 1858 machte er sein Staatsexamen. In den Jahren 1859 und 1860 reiste er 15 Monate durch Italien, worüber er auch Reiseberichte verfasste. 1861 wurde Haeckel Privatdozent in Jena, 1862 berief man ihn zum außerordentlichen Professor.
Mit seinen Forschungsergebnissen (unter anderem dass der Mensch vom Affen abstamme) erregte Haeckel zum Teil Unmut und Ärger in der zeitgenössischen Wissenschaft. Haeckel war Systematiker, Morphologe, Spezialist für 'niedere' Meerestiere, Botaniker, Anatom, Zeichner und Maler und Evolutionist.

Veröffentlichungen - Auswahl
- 1874 Anthropogenie oder Entwicklungsgeschichte des Menschen
- 1899 Die Welträthsel
- 1904 Die Lebenswunder
- 1910 Sandalion

Forschungsthemen
- Quallen (medusen),  
- Strahlentierchen (Radiolarien)  
- Korallen (Anthozoen)  
- Schwämme (Spongia)  
- Kristalle  
- Entwicklungstheorie  
- Monismus

Leseprobe:  
"Die Welträtsel", Kapitel “Unsere monistische Sittenlehre”
Das praktische Leben stellt an den Menschen eine Reihe von ganz bestimmten sittlichen Anforderungen die nur dann richtig und naturgemäß erfüllt werden können, wenn sie in reinem Einklang mit seiner vernünftigen Weltanschauung stehen. Diesem Grundsatze unserer monistischen Philosophie zufolge muß unsere gesamte Sittenlehre oder Ethik in vernünftigem Zusammenhang mit der einheitlichen Auffassung des “Kosmos” stehen, welche wir durch unsere fortgeschrittene Erkenntnis der Naturgesetze gewonnen haben.
Wie das ganze unendliche Universum im Lichte unseres Monismus ein einziges großes Ganzes darstellt, so bildet auch das geistige und sittliche Leben des Menschen nur einen Teil dieses “Kosmos”, und so kann auch unsere naturgemäße Ordnung desselben nur eine einheitliche sein. Es gibt nicht zwei verschiedene, getrennte Welten: eine physische, materielle und eine moralische, immaterielle Welt. (...)

Kapitel: "Lösung der Welträtsel"
(...) Die monistische Überzeugung von der physikalischen und chemischen Einheit des unendlichen Kosmos, die wir dadurch gewonnen haben, gehört sicherlich zu den wertvollsten allgemeinen Erkenntnissen, welche wir der Astrophysik verdanken, einem neuen höchst interessanten Zweige der Astronomie. Nicht minder wichtig ist die klare, mit Hilfe jener gewonnene Erkenntnis, daß auch dieselben Gesetze der mechanischen Entwicklung im unendlichen Universum ebenso überal herrschen wie auf unserer Erde. Eine gewaltige, allumfassende Metamorphose des Kosmos vollzieht sich ebenso ununterbrochen in allen Teilen des unendlichen Universums wie in der geologischen Geschichte unserer Erde; ebenso in der Stammesgeschichte ihrer Bewohner wie in der Völkergeschichte und im Leben jedes einzelnen Menschen. (...)

Wilhelm Ostwald

In einem Zeitungsartikel hieß es:
Wilhelm Ostwald gestorben

In Groß-Bothen, wo er ein eigenes Laboratorium hatte, ist in der Nacht zum Montag der berühmte Gelehrte der Naturwissenschaft und Philosoph Wilhelm Ostwald, der Begründer der "energetischen Weltanschauung" gestorben.

Wilhelm 0stwald wurde am 2. September 1853 in Riga geboren, war 1882 als ordentlicher Professor am Baltischen Politechnikum in Riga tätig und folgte im Jahre 1887 einem Rufe der physikalischen Chemie an die Universität in Leipzig.

1905 war er Visiting-Professor an der Harvard-Universität in Cambridge und der Columbia-Universität in New-York. Im Jahre 1906 legte er sein Professoramt in Leipzig nieder, um weiter nur seinen wissenschaftlichen Studien leben zu können, für die er 1909 mit dem Nobelpreis für Chemie bedacht wurde. Ostwalds Ruf als einer der bedeutendsten Gelehrten unserer Zeit geht über die ganze Welt. Er war Ehrendoktor vieler Universitäten und Mitglied der dänischen, russischen, österreichischen, holländischen, amerikanischen Akademien der Wissenschaften.
Seine Hauptbedautung lag in seiner Tätigkeit als Erbauer eines einheitlichen Lehrgebäudes der physikalischen Chemie. Erst sein Werk führte den Fachgenossen, die auf die beschreibende oder präparative Chemie das Hauptgewicht legten, vor Augen, daß es auch allgemeinere chemische Eigenschaften und Vorgänge gebe. Man beschäftigte sich jetzt weit eingehender mit den Vorgängen, die bei der elektrolytischen Zersetzung stattfinden. Man konnte nicht mehr bei der Faradayschen Auffassung stehen bleiben, daß erst durch die elektrische Kraft (bei der Elektrolyse) die Moleküle in ihre entgegengesetzt geladenen Teile (Atome, Molekülrest, von Faraday die Ionen genannt) zerrissen werden. Man mußte vielmehr annehmen, daß in den verdünnten wässerigen Lösungen die Salze nicht als Verbindung enthalten sind, sondern nur in ihren Bruchstücken.
Auf der anderen Seite ist Ostwald auch als Denker und Kämpfer hervorgetreten. Er ist der Führer der monistischen Bewegung geworden. Einige Jahre vor dem Krieg hatte Ostwald ferner eine Vereinigung organisiert, die sich "Die Brücke" nannte und der Energievergeudung des modernen Wirtschaftslebens durch eine gewisse Art der Normierung allgemein im Gebrauch befindlicher Verkehrsmittel usw. zuleibe gehen wollte (z.B. durch Normalformat der Briefbogen, Zeitschriften usw.) Die Vereinigung ist eingeschlafen, aber der Gedanke selbst macht Fortschritte.
Später hat Ostwald sich insbesondere mit einer neuen Farbenlehre befaßt, deren bisher verborgene Gesetze er aufgedeckt hat. Von seinen zahlreichen Werken seien genannt: "Lehrbuch der allgemeinen Chemie" (1885-1887), "Thermogynomische Studien", "Überwindung des wissenschaftlichen Materialismus", "Grundriß der Naturphilosophie", "Grosse Männer", "Entwicklung der Elektrochemie", "Wider das Schulelend" und "Monistische Sonntagspredigten", "Der energetische Imperativ" (1912), "Das Christentum als Vorstufe des Monismus" (1913), "Moderne Naturphilosophie" (1914), "Die Farbenfibel" (1916, 11. Auflage 1925), "Die Farbenlehre" (zwei Bände, 1918-1919), "Die Harmonie der Farben" (1918), "Die Farbschule" (1919), "Die Welt der Formen" (1922-1924), "Farbkunde" (1923). Von Ostwald stammt auch die Farbtafel in der jeder Farbton mit einer Nummer bezeichnet wird und so rasch jede Nuance festgestellt werden kann. Seit 1921 war er Herausgeber der Zeitschrift "Die Farbe". Seit 1906 lebte der ideal gesinnte Gelehrte in der Stille seines Landhauses "Energie" in Groß-Bothen, etwa eine Bahnstunde von Leipzig entfernt, und fand 1926 noch Muße, eine Selbstbiographie "Lebenslinien" (Verlag Klasing u. Co., Berlin) herauszugeben.

Aus: Bayerische Staatszeitung vom 6. April 1932

Gerhard von Frankenberg
Am 12. Oktober 1892 wurde Gerhard von Frankenberg und Ludwigsdorf in Braunschweig geboren.
Braunschweig war seine Heimat, hier wuchs er auf, und hier begann er auch seine Laufbahn als Wissenschaftler. Die Wissenschaft war bei ihm jedoch nie der ganze Inhalt seines Lebens, obwohl sie bei ihm einen sehr wichtigen Platz einnahm.

Im Nachhinein betrachtet und bei Würdigung seines Lebenswerkes muss man wohl sagen, dass die Wissenschaft das Fundament für sein weiteres Schaffen bildete, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Zum einen war sie natürlicher Grundstock, auf den sich trefflich aufbauen ließ, wobei seine Fachrichtung, die Zoologie, seinem weiteren Tun als ganz besonders geeignete Basis diente; stand Frankenberg doch in der Tradition von Darwin, Haeckel und Ostwald, um nur die Wichtigsten zu nennen, und hatte er doch zu den Jenaer Biologen und Monisten, die auf die Tradition Ernst Haeckels fußten, gute Beziehungen. Die Beziehung zu Jena wurde erst durch die Teilung Deutschlands und die politischen Zwänge, die durch das SED-Regime ausgeübt wurden, beendet.
Darüber hinaus waren Frankenbergs Interessen auch im politischen und gesellschaftlichen Bereich zu finden. Deshalb trennte er sich schon sehr früh nach dem Ersten Weltkrieg von der Kirche, nachdem er vorher bereits der SPD beigetreten war. Er war Mitbegründer des Reichsbanners. Seine Gesinnung wurzelte in der Weimarer Republik und war von daher demokratisch und nicht monarchistisch, wir man es aufgrund seiner familiären Abstammung hätte vermuten können.
Er studierte in Heidelberg, Braunschweig und Leipzig. In Leipzig promovierte er dann auch. Im Senckenberg-Museum in Frankfurt am Main trat er seine erste Stelle als Assistent an, die er später verließ, um nach Braunschweig zurückzukehren. Die Rückkehr nach Braunschweig wiederum war mit einem Berufswechsel verbunden, denn er avancierte dort im Rahmen seiner politischen Tätigkeit zum Pressesprecher der Landesregierung. Natürlich wurde er auch in den Braunschweiger Landtag gewählt. Durch die Berufung zum Inspektor des Naturhistorischen Museums in Braunschweig, dessen Leitung er übernahm, kehrte er wieder zur wissenschaftlichen Arbeit zurück. In der Folgezeit wurde Frankenbergs Arbeit durch seine Ernennung zum Direktor anerkannt, und es wurde ihm gleichzeitig die Aufgabe übertragen, im Rahmen der Technischen Hochschule Braunschweig ein zoologisches Institut zu gründen, dessen erster Direktor er ebenfalls wurde.
Schon sehr früh begann Gerhard von Frankenberg, bei Bildungseinrichtungen mitzuarbeiten, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, die Volksbildung, also das allgemeine Bildungsniveau, zu heben. Seine Beiträge dienten der politischen Aufklärung genauso wie der Popularisierung der Wissenschaft oder besser gesagt, der wissenschaftlichen Erkenntnis, der Bekämpfung des Okkulten und des Aberglaubens.
Aus dieser geistigen Ausrichtung ergab sich zwangsläufig ein Eintreten für Geistesfreiheit und Humanismus.
Speziell während der Nachkriegsperiode profilierte sich Gerhard von Frankenberg dermaßen, dass er, egal in welchem freigeistigen Verband auch immer, als „unser Professor von Frankenberg“ angesehen wurde. Er war, wie man es heute ausdrücken würde, die „Integrationsfigur“ schlechthin. Seine Aufsätze und anderen Publikationen waren für alle geschrieben und wurden von allen gelesen, egal ob sie Freidenker, Freireligiöse, Monisten oder Unitarier waren.
Ein Mann seiner Qualifikation und seiner Gesinnung musste zwangsläufig mit den Nationalsozialisten zusammenstoßen. Prof. Gerhard von Frankenberg wurde 1933 seines Postens als Museumsdirektor enthoben und mit einer kleinen Pension aus dem Berufsleben entfernt – für einen Wissenschaftler eine wahrlich existentielle Bedrohung. Es war angezeigt, aus dem Gesichtskreis der neuen Braunschweiger Machthaber zu verschwinden. Frankberg setzte sich mit seiner Familie nach Hannover ab, wo er, der als Regimegegner bekannt war, dann später auch im Zuge der Verhaftungswelle, die nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler stattfand, ins Konzentrationslager Neuengamme gebracht wurde. Hier wurde er bis zum Herbst 1944 interniert, länger als viele andere, die nach ihrer Überprüfung wieder freigelassen wurden. Seine Witwe, Elisabeth von Frankenberg, sah seine frühere Tätigkeit als Gauführer beim „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ als Grund dafür an.
Langwierige Interventionen guter Freunde führten letztendlich doch im Herbst 1944 zu seiner Entlassung oder besser gesagt Rettung.
Doch kommen wir auf die ersten Jahre in Hannover zurück. Hier musste der Professor mit seiner Familie ein sehr karges Leben führen, denn die ihm zustehenden Bezüge waren sehr knapp bemessen. Die Lage veränderte sich langsam durch den sich einstellenden Erfolg als Publizist. Für Gerhard von Frankenberg, der ein Leben als Privatgelehrter führte, war es zu der Zeit wichtig und hilfreich, dass er die Einrichtungen des Provinzialmuseums (heute Landesmuseum) in Hannover benutzen durfte. In jenen Jahren war er mit dem damaligen Museumsdirektor Dr. Hugo Weigold befreundet.
Nach dem Kriege nahm Frankenberg in Braunschweig seine berufliche Tätigkeit wieder auf, wurde aber aufgrund eines Herzleidens frühzeitig in den Ruhestand versetzt.
1946 wurde auf Anordnung der Militärregierung das Land Niedersachsen gegründet. Die vier ehemaligen selbstständigen Länder Hannover, Brauschweig, Oldenburg und Schaumburg-Lippe wurden aufgelöst und gingen in dem neuen Land auf. Prof. Dr. von Frankenberg wurde gebeten, am 21. Nobember einen Vortrag anlässlich der Schlusssitzung vor der Auflösung des Braunschweiger Landtags zu halten. Dieser Vortrag zeigte die Entwicklung Braunschweigs von den Tagen Heinrichs des Löwen an bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Professor von Frankenberg erfüllte die in ihn gesetzten Erwartungen, indem er so geschichtsbewusst und kenntnisreich seine Zuhörer mit Braunschweigs Vergangenheit konfrontierte und dabei gleichzeitig den Bogen zur damaligen Gegenwart schlug, wie es wohl kaum ein anderer besser hätte machen können. In dem Vortrag fanden natürlich auch die revolutionären, sozialen und freiheitlichen Bestrebungen des Braunschweiger Landes einschließlich seiner Schulgesetzgebung, die bezüglich der religiösen Frage vorbildlich war, einen gebührenden Platz.
In der Nachkriegszeit gehörte der Biologe mit zu den prominentesten Vertretern der freigeistigen Verbände. Er war Präsident des Deutschen Volksbundes für Geistesfreiheit (DVfG) – heute umbenannt in Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften e.V. (DFW) – der als Nachfolge-Organisation der Arbeitsgemeinschaft freigeistiger Verbände im Oktober 1949 gegründet wurde. Später wurde Frankenberg Ehrenpräsident im DVfG. Bei dem 1946 wieder gegründeten Deutschen Monistenbund – ab 1956 in Freigeistige Aktion/Deutscher Monistenbund e.V. umbenannt und seit 2003 Freigeistige Aktion für humanistische Kultur e.V. – wurde er ebenfalls bereits 1947 in die Ehrenpräsidentschaft berufen.
Die Arbeit und Mitgliedschaft im DVfG und in der Freigeistigen Aktion/DMB kam nach dem Kriege zustande, da nach dem Dritten Reich die kirchliche Reaktion verhältnismäßig groß war und sich viele Menschen genötigt sahen, aus den verschiedensten Gründen wieder in die Kirche einzutreten. Prof. von Frankenberg erkannte es als seine Pflicht, für seine Überzeugung einzutreten und den Kirchenfreien zu helfen. Deshalb gab er dem Drängen von Männern wie Albert Heuer nach und engagierte sich von dem Zeitpunkt an in der freigeistigen Bewegung.
Gerhard v. Frankenberg hat einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung freigeistigen Gedankenguts geleistet. Den heute vielerorts aufblühenden Kreationismus beispielsweise hat er schon in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts widerlegt.
Mit liebevoller Hingabe versuchte er stets, den Dingen auf den Grund zu gehen. Eingehend untersuchte er viele Gegenstände der Biologie und kam zu Schlüssen, die ihn zu einer Art Naturphilosophie brachten. Dennoch verstand er sich ebenso gut auf die menschlichen Stärken und Schwächen, die auszuleuchten ihm offenbar große Freude bereitet haben muss. Was seine Texte trotz aller kritischen Töne noch heute so liebenswert erscheinen lässt, ist seine Gabe zur Harmonisierung, seine große Toleranz gegenüber Andersdenkenden und sein Verständnis für alles Menschliche, auch wenn es nicht seine eigene Anschauung war. Stets wollte er andere verstehen. Wer sich um eine eigene Weltanschauung bemühte, erhielt seine volle Anerkennung, selbst wenn er damit zu anderen Ergebnissen kam als er selbst. Die Fähigkeit, große Zusammenhänge allgemein verständlich zu erläutern, machte Gerhard v. Frankenberg zu einem gleichermaßen beliebten Redner wie Autor zahlreicher Zeitschriftenartikel und Bücher. – Am 30. November 1969 verstarb Gerhard von Frankenberg in Hannover.

Arnher E. Lenz

(aus: Die Wahrheit soll man nie fürchten! Angelika Lenz Verlag 2006)

Rudolf Genschel
Rudolf Genschel wurde am 30.3.1891 in Kassel geboren. Er hatte keine unbeschwerte Jugend; sein Vater starb früh, Mutter und Schwester ermöglichten durch Heimarbeit dem begabten Jungen den Besuch des Gymnasiums. Nach dem Abitur studierte er Biologie in Göttingen und Marburg, das Geld zum Lebensunterhalt musste er sich größtenteils leihen. Gegenüber seinen Kommilitonen, von denen die meisten aus begüterten Elternhäusern stammten, spielte er eine Außenseiterrolle, er lernte frühzeitig, was soziale Unterschiede bedeuteten, die ja nicht nur finanzielle Benachteiligung mit sich brachten, sondern oft auch Zurücksetzungen und Demütigungen durch die Mentalität der Sprösslinge des deutschen Besitzbürgertums, und das prägte seine politische Orientierung lebenslang. Das Treiben der studentischen Korporationen stieß ihn ab, dagegen fand er in der Wandervogelbewegung vieles, was ihn anzog, vor allem das Streben nach einem Leben ohne die Konventionen des wilhelminischen Ständestaates.
Intelligenz und Fleiß R.G.s hatten zur Folge, dass er schon mit 23 Jahren sein Studium erfolgreich abschließen konnte, er bestand das Staatsexamen für das höhere Lehramt. Inzwischen war aber der Erste Weltkrieg ausgebrochen. R.G. wurde Soldat, erlitt schon bald eine schwere Hüftverletzung, die ihn zwang, zeitlebens beim Gehen einen Stock zu benutzen, und diente für den Rest des Krieges beim militärischen Wetterdienst.
Nach dem Ende des Krieges konnte R.G. endlich den angestrebten Beruf ausüben, den des Lehrers. Er schloss sich der pädagogischen Reformbewegung von Hermann Lietz an, deren Grundsätze und Methoden ihm sehr zusagten. So arbeitete er zunächst an der von Lietz geleiteten Internatsschule in Tübingen. Dort lernte er seine Kollegin Lisa Schüller kennen, die er bald darauf heiratete, die ihm drei Kinder schenkte und die ihm bis zu ihrem Tode 1968 helfend und beratend zur Seite stand. Ihr Verlust war der schwerste Schicksalsschlag in R.G.s Leben, der einzige, den er nicht mehr verwinden konnte.
Nach der Hochzeit fand R.G. eine Anstellung als Studienrat in Berlin-Köpenick. Sein Beruf machte ihm Freude, füllte ihn aber nicht ganz aus. Er hielt es für seine Pflicht, die Erkenntnisse seiner Wissenschaft, der Biologie, und die Erfahrungen seines Lebens zur Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse einzusetzen, die ja in der „Weimarer Republik“ keineswegs ideal waren. Die soziale Ungerechtigkeit, unter der er in seiner Jugend gelitten hatte und die es nach dem Krieg nach wie vor gab, machte ihn zum Sozialisten, der unsinnige Massenmord im Weltkrieg zum Pazifisten. So unterstützte er die Sozialdemokraten, die Naturschutzbewegung und die Blaukreuzler, die den Alkoholmissbrauch bekämpften (zu diesem Engagement hat die Kenntnis der Trinksitten der studentischen Korporationen sicher beigetragen).
All diese nebenberuflichen Aktivitäten musste R.G. einstellen, als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Jetzt kam es für ihn darauf an, seinen Beruf auszuüben, ohne mit den Machthabern zu paktieren und ohne ihnen einen Vorwand zur Entlassung zu liefern. Das war gerade im Lehrfach Biologie besonders schwierig, weil Darwins Erkenntnisse in vergröberter und verfälschter Form eine Begründung für Rassismus, für die Lehre von Herrenvölkern und Sklavenvölkern und für den Antisemitismus und damit für wesentliche Teile der nationalsozialistischen Ideologie liefern sollten. Deswegen war es für R.G. zwar schmerzlich, aber auch eine gewisse Erleichterung, als er nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wieder zum Wetterdienst einberufen wurde.
Nach Kriegsende fand sich R.G. in Hannover wieder. Seiner Frau gelang es, mit ihren drei Kindern aus dem sowjetisch besetzten Köpenick herauszukommen und zu ihm zu ziehen. Bei dem Wiederaufbau des Bildungswesens in Niedersachsen nach 1945 erwies sich R.G. als einer der wenigen kompetenten Biologen, die die Herrschaft der Nationalsozialisten überlebt hatten, ohne sich kompromittiert zu haben. Darum erhielt er einen Ruf als Professor für Didaktik der Biologie an die Pädagogische Hochschule Hannover.
Endlich hatte er wieder die Chance, jungen Menschen die Biologie ohne ideologische Verfälschungen nahe zu bringen und sie in die Lage zu versetzen, ihr Wissen in angemessener Weise an ihre späteren Schüler weiterzugeben. Das war ein großes Glück für R.G., es war aber auch ein großes Glück für die Freigeistige Bewegung. Nach 1945 fand sich in Hannover eine ungewöhnlich große Zahl bedeutender Freigeister zusammen, deren jeweilige Fähigkeiten sich in idealer Weise ergänzten, unter ihnen der Naturwissenschaftler Professor Dr. Gerhard v. Frankenberg, der mitreißende Redner und Organisator Albert Heuer, der Kulturwissenschaftler Willi Henkel, der Fabrikant Karl Schrader und viele andere. Diese Männer sorgten dafür, dass die Versuche der Regierung Adenauer, die von der Verfassung vorgeschriebene Trennung von Staat und Kirche zu unterlaufen, zwar teilweise erfolgreich waren, besonders im Schulwesen, dass aber trotzdem die freigeistigen, freireligiösen und freidenkerischen Verbände wieder gegründet wurden und seither dafür sorgen, dass Menschen, die nicht mehr den Kirchen angehören, in ihnen eine geistige und weltanschauliche Heimat finden, die ihnen eine wirklichkeitsnahe und gut begründete Daseinsorientierung bietet.
R.G.s Anteil an dieser Arbeit bestand darin, dass er das naturwissenschaftlich begründete Weltbild des vor dem Ersten Weltkrieg gegründeten Deutschen Monistenbundes (heute: Freigeistige Aktion für humanistische Kultur e.V.) vertrat. Atheismus, Antiklerikalismus und Antifaschismus sind ja noch keine Weltanschauungen, sie sagen nur, was man nicht denkt und glaubt, nicht aber, was man an seine Stelle setzen will. Der Monismus, dessen Grundgedanke ist, dass alles, was in der Welt geschieht, natürliche Ursachen hat, und der den von Darwin bewiesenen und von Haeckel, Huxley und anderen popularisierten Umstand vertrat, dass auch der Mensch ein Naturwesen ist und von tierischen Vorfahren abstammt, bot ein in sich stimmiges, der erlebten Wirklichkeit nicht widersprechendes und mit einer humanistischen Grundüberzeugung zu vereinbarendes Weltbild an, das intellektuellen und ethischen Ansprüchen gerecht wurde. Um dieser Denkrichtung ein Forum zu schaffen, gründete R.G. die Zeitschrift Freigeistige Aktion, deren erster Redakteur er wurde und in der er den besten Köpfen unter den Freigeistern Gelegenheit bot, ihre Vorstellungen und Ansichten zu publizieren. Außerdem gehörte er zu den Mitbegründern der Freien Akademie, die es ebenfalls heute noch gibt und die seit 1956 auf ihren Jahrestagungen Wissenschaftler aller Denkrichtungen (natürlich auch christlich orientierte) zu Worte kommen lässt. Neben seiner Tätigkeit als Redakteur und Autor zeitkritischer Glossen in „seiner“ Zeitschrift war er bis ins hohe Alter hinein auch noch als Redner auf Kongressen und Versammlungen aktiv, wobei er bei Auseinandersetzungen niemals gehässig wurde – seine Waffe war eher freundliche Ironie.
R.G.s Erbe an seine Nachfolger besteht nicht nur aus dem, was er schriftlich und organisatorisch unter schwierigen Umständen geschaffen hat, was für sich genommen schon eindrucksvoll genug wäre, es besteht auch aus seinem Vorbild als Mensch. Er verachtete jeden billigen und schönfärberischen Trost, er versuchte nie, Leser und Hörer durch rhetorischen Glanz zu überreden, er erläuterte nüchtern und sachlich die Tatsachen und ermöglichte es ihnen dadurch, selbst zu denken und zu urteilen. Ein Schuss Skeptizismus und Selbstironie bewahrte ihn davor, zum selbstgerechten Moraltrompeter zu werden. Er lehrte den Humanismus nicht nur, er lebte ihn auch, bis er am 5. August 1972 für immer die Augen schloss.

Willi Henkel
Wilhelm Henkel wurde am 24. März 1897 geboren.  
Er war Soldat im Ersten Weltkrieg und kam von der Front nach Hannover mit dem festen Willen zurück, nie wieder Waffen zu tragen und von nun an eine bessere, freiere Welt mit aufzubauen. Der ehemalige Schüler von Gustav Wyneken war Junglehrer und wurde in Birkum bei Bremen zum ersten Mal eingesetzt. Hier brachte er seinen Schülern die natürliche Entstehung und die natürliche Entwicklung der Menschheit nahe, weshalb die preußische Behörde ein Amtszuchtverfahren gegen ihn anstrengte. Laut Anklage stand Henkels Unterricht im Gegensatz zu der im Religionsunterricht gelehrten biblischen Geschichte.  
Im Jahr 1922 wurde die erste Weltliche Schule in Hannover gegründet. Da die Zuwachsraten bei den jährlichen Einschulungen wuchsen und Schüler und Schülerin-nen aus allen Schuljahrgängen überwechselten, entwickelte sich bald die zweite Weltliche Schule. Als im Jahr 1927 die Zuzugssperre für auswärts tätige Lehrer nach Hannover aufgehoben wurde, kam Willi Henkel an eine Weltliche Schule.
Der Aufbau der Jugendorganisation der SPD „Die roten Falken“ in Hannover und Umgebung wurde Willi Henkel durch die SPD-Führung übertragen, weil er bei der Schuljugend sehr beliebt war.  
In den Jahren 1931/32 gab es in Hannover sechs vollständig ausgebaute Weltliche Schulen. Der Schulabschluss endete zu dieser Zeit meistens mit einer Jugendweihe, die die Freireligiöse Gemeinde durchführte. 1932 wurde Willi Henkel mit der Inszenierung einer modifizierten Jugendweihefeier betraut. In seiner Ansprache während der Feier wies er auf die drohende Gefahr der Nationalsozialisten hin. Es wurde die letzte große öffentliche Jugendweihefeier vor der Machtübernahme durch die NSDAP (1933).
Nach ihrer Machtübernahme löste die NSDAP die Weltlichen Schulen auf. Willi Henkel gehörte zu den Lehrern, die aus dem Schuldienst entlassen wurden. Er wurde des Hochverrats bezichtigt und ging deshalb in die sogenannte „innere Emigration“. Dank des hannoverschen Unternehmers Laves konnte er erst in Leipzig und später in Dresden unterkommen. Im Februar 1945 überlebte Willi Henkel die Bombenkatastrophe von Dresden mittellos. Das Ende des Zweiten Weltkrieges erlebte Willi Henkel im süddeutschen Raum, wo er als politischer Redakteur beim Südwestfunk arbeitete. Anfang 1946 kehrte er nach Hannover zurück. Willi Henkel trat wieder in den Staatsdienst ein und wurde im Kulturbereich für das „Jugendhilfswerk“ eingesetzt. Er war mit dem Aufbau von „Lehrersonderkursen“ beauftragt, in denen junge, intelligente und unbelastete Leute zunächst in einjähriger Ausbildung zu Lehrern herangebildet wurden, um den entstandenen Lehrermangel zu decken. Seine weitere Tätigkeit war die eines Oberregierungsrates.
Der Deutsche Monistenbund wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in München neu gegründet. Die Monisten aus dem Raum Hannover schlossen sich dem Deutschen Monistenbund an und gründeten dann einen Ortsverein in Hannover. 1963 übernahm Willi Henkel das Amt des Bundesvorsitzenden und blieb es bis 1987. Danach wurde er zum Ehrenvorsitzenden gewählt.  
Politisch hat Willi Henkel versucht, bei seinen Genossen, die beim Ältestenrat des Grundgesetz-Gremiums mitwirkten, das Interesse für eine reine Trennung zwischen Kirche und Staat zu fördern. Er wollte erreichen, dass bundesweit Weltliche Schulen vorgesehen werden. Doch der angestrebte Kompromiss war die Gemeinschaftsschule. Die „Arbeitsgemeinschaft für religionskundlichen Unterricht“ bildete sich, weil bei den weltlich orientierten Bevölkerungsgruppen nicht nur ein Interesse daran bestand, ihre Kinder vom Religionsunterricht abzumelden, sondern sie in Religionskunde unterrichten zu lassen. Auf Initiative von Willi Henkel wurde aus der „Arbeitsgemein-schaft für religionskundlichen Unterricht“ die „Gesellschaft zur Förderung des religionskundlichen Unterrichts“, die 1956 in das Vereinsregister eingetragen wurde. Willi Henkel war Geschftsführer der Gesellschaft und übernahm etwas später ihren Vorsitz, den er bis 1987 inne hatte.
Mit Helmut Müller, Albert Burmester und anderen Pädagogen aktivierte Willi Henkel 1947 die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Lehrer“ (ASL), die schon vor 1933 bestanden hatte. Der erste nationale Kongress nach 1945 fand 1948 in Gelsenkirchen statt. Willi Henkel und Richard Schröder wurden auf diesem Kongress zu Vorsitzenden gewählt, was Willi Henkel bis 1955 blieb. Auf der ASL-Konferenz 1950 in Herne gelang es Willi Henkel, den französischen Pädagogen Pierre Astier für die Gründung einer „Internationalen Union Demokratisch Sozialistischer Erzieher“ zu gewinnen. 1951 fand die Gründungskonferenz in Versailles statt.
1962 gehörten Willi Henkel und seine Frau Dr. Lore Henkel zur Gründungsgruppe „Freundeskreis Zentral- und Ostafrika e.V.“ In Zusammenarbeit mit dem Oberbür-germeister von Hannover, Holweg, und Stadtrat Lauenroth gelangen erfolgreiche Ausbildungsprogramme für junge Afrikaner, und in Malawi erfolgte 1968 ein Schulbau.  
1982 führten viele noch bestehenden Kontakte Willi Henkels mit ehemaligen Schülern aus der Zeit vor 1933 zu einer Wiedersehensfeier, zu der sich rund 800 Personen anmeldeten. Vom 24.4. bis zum 8.5.1983 lief eine Ausstellung, auf der Fotos, Dokumente, Bücher und Zeitschriften aus der Zeit vor 1933 gezeigt wurden. Willi Henkel starb am 14. Juli 1988.  
Seine Witwe, Dr. Eleonore (genannt Lore) Henkel (28.07.1914-02.05.2017), war eine deutsche Stenotypistin, Dipl.-Volkswirtin, Dozentin und vielfach geehrte Kommunalpolitikerin. Als ebenfalls aktives Mitglied der Freigeistigen Aktion für humanistische Kultur reiste Lore Henkel noch als Rentnerin immer ab und zu nach Malawi, um „ihre“ Schule mit den jungen Schülern zu besuchen. Sie überzeugte sich gern selbst vor Ort vom Stand der Dinge und überbrachte persönlich Geld, das sie in Deutschland unermüdlich für den Erhalt und Ausbau der Bildungsanstalt gesammelt hatte. „Unsere Schule ist ein kultureller Mittelpunkt der Region an der Grenze zu Mosambique“, erzählte Lore Henkel. Inzwischen bestehe die Einrichtung aus fünf Lehrerhäusern, 14 Klassenräumen, einem Hauswirtschaftszentrum und einer Tischlerwerkstatt. Besonders wichtig ist ihr, dass die sechs- bis 16-jährigen Jungen und Mädchen neben der allgemeinen Schulbildung vor allem auch gezielt über AIDS aufgeklärt werden. „Wir wollen einen aktiven Beitrag zur AIDS-Bekämpfung in Malawi leisten“, so Dr. Lore Henkel.


Leseprobe:  
Das monistische Jahrhundert
Es waren zwar nur wenige Personen, die sich am 11. Januar 1906 auf Veranlassung von Ernst Haeckel in Jena versammelten, um den Deutschen Monistenbund (DMB) zu gründen, aber es waren Menschen, die wußten, worauf es ankam. Es war die Zeit, in der neben einem “Stellvertreter Gottes auf Erden” Kaiser, Könige und Fürsten “von Gottes Gnaden” über Völker herrschten, die zu Gottesfurcht und Herrscherverehrung erzogen, durch knapp bemessene Schulbildung in geistiger Unmündigkeit gehalten, durch tendenziöse Erziehung manipuliert, unter ungleiches Recht gestellt (Drei-Klassen-Wahlrecht in Preußen, kein Frauenwahlrecht), als brave und gehorsame Untertanen die Klassenstruktur der Gesellschaft und die höchst ungleiche Verteilung von Besitz, Einkommen und sonstigen Lebensgütern als “gottgewollt” ansehen und respektieren sollten, gegebenenfalls aber - falls sie etwa aufmüpfig würden - durch Polizei und Klassenjustiz oder auch durch Militär schnell “auf Vordermann gebracht” werden konnten.  
Zu den breiten Massen, die als die Lastträger der so verfaßten Gesellschaft unter den vielfachen Ungerechtigkeiten der gesellschaftlichen Verhältnisse am meisten und am bittersten zu leiden hatten, gehörten diese zwölf im Januar 1906 in Jena Versammelten freilich nicht; fast alle waren Wissenschaftler, die in ihrer sozialen Stellung und Berufstätigkeit nur in geringem Maße durch Zensur, durch mangelndes Ansehen wohl kaum und durch wirtschaftliche Bedrängnis überhaupt nicht beeinträchtigt waren. Aber sie waren kenntnisreiche und von wahrer humanistischer Gesinnung erfüllte Männer; sie empfanden die stickige Atmosphäre, die Verflachung des Geisteslebens, die wachsende Gier der Mächtigen nach immer mehr Besitz und Herrschaft, die Bedenkenlosigkeit bei der Wahl der Mittel, die Überheblichkeit eines nicht gerade durch Geistesgröße hervorleuchtenden “blaublütigen” Adels und auf der andern Seite die durch Bildungsmängel, Unwissenheit und resignation, durch Armut und politische Rechtlosigkeit bedingte Unterwürfigkeit und fast völlige Ohnmacht der Beherrschten als menschenunwürdig, als ekelhaft und verwerflich. Und sie waren entschlossen, sich für die Veränderung der elenden Verhältnisse einzusetzen. Sie waren hochgebildet und beweglichen Geistes, hatten Kenntnisse und die Fähigkeit, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu analysieren, logisch zu denken und Schlußfolgerungen zu ziehen und sie waren moralisch integre Persönlichkeiten, die sich zu Solidarität und zum Gesamtwohl aller verpflichtet wußten.
Hier halte ich es nun für wichtig, daß man eine Tatsache, die von Anfang an für die monistische Bewegung in stärkerer oder geringerer Ausprägung charakteristisch war, richtig erkennt und niemals unberücksichtigt läßt: die Gründer und auch die späteren Führer des DMB waren hauptsächlich Wissenschaftler, Literaten und Intellektuelle, aber keine Politiker; sie waren Männer des Geistes und des Wortes, der Erziehung und der lauteren Ethik, aber nicht in betonter Weise Männer der Tat. An Kampfesmut fehlte es ihnen wahrlich nicht (das monistische Schrifttum ist prall gefüllt mit Polemik der verschiedensten Schärfegrade); aber ihre Kampfesfelder waren die Literatur oder die Versammlung, fast nie jedoch die politische Arena, der Wahlkampf, die Partei oder das Parlament: Es wird freimütig zugegeebn, daß vorstehend gar zu sehr verallgemeinert wird. Hier steht eben nicht der Raum zur Verfügung, den eine an sich notwendige mehr differenzierende Darstellung erfordern würde. Was von vielen Betrachtern des Monismus, gegnerischen und wohlwollenden, des öfteren als Heterogenität der Mitgliedschaft festgestellt wurde oder wird, kann man auch als Vielgestaltigkeit und Beweis innerorganisatorischer Toleranz bzw. demokratischer Gesinnung bezeichnen. “Heterogenität” - will sagen: Verschiedenheit der Auffassungen innerhalb einer weitegspannten Übereinstimmung über Grundsätze - gibt es in allen menschlichen Gemeinschaften, und wie die Geschichte lehrt, haben sogar Folter und Scheiterhaufen, Konzentrationslager und Galgen, Uniformität und Konformismus weder absolut noch auf Dauer garantieren können. Die Menschen sind nun einmal Individuen und darum ungleich - gleich sind sie nur nach dem Tode, und zwar, weil sie dann tatsächlich “verschieden” sind.
So ist es denn auch nicht verwunderlich, daß sich - wie es bei anderen Organisationen - Vereinen, Parteien, Kirchen usw. oft genug geschieht - auch in den DMB gelegentlich ideologische Wirrköpfe oder/und weltfremde Schwarmgeister verirren konnten.Daß diesen wissenschaftlich Gebildeten und Berufstätigen der entsetzliche Mangel an Geistesbildung der großen Masse der Zeitgenossen, die doch höchstens 8 Jahre in der Schule, vielfach in Zwergschulen mit jämmerlichster Ausstattung, verbracht hatten, weitaus stärker als den andern Mitmenschen auffallen mußte und ihnen als eine hauptsache der sie beunruhigenden Misere erschien, kann m.E. niemanden verwundern. Geradezu frappierend aber wäre es gewesen, wenn sie, die Universitätsprofessoren, die Ärzte, Ingenieure, die Pädagogen, die Literaten und sonstigen Intellektuellen, die Sozialwissenschaftler, die Sozialpraktiker usw., die Überwindung der Unwissenheit, des Unverstandes und der Unvernunft nicht als Gebot allerhöchster Dringlichkeit und ganz besonders ihnen naheliegende Aufgabe angesehen hätten.
Und diese Aufgabe haben sie mit Mut, Fleiß, Umsicht, Ausdauer und Könnerschaft jahrelang durch Herausgabe von Büchern, Zeitschriften, durch Veranstaltungen von Tagungen, Vortragsreihen und Einzelvorträgen redlich erfüllt.
Auf welche Bedürfnisse und Aufgeschlossenheit sie dabei stießen, wird durch die Tatsache erhellt, daß innerhalb weniger Jahre in deutschen Landen Dutzende von Ortsgruppen mit mehreren Tausend Mitgliedern entstanden, die regelmäßig vereinsinterne und öffentliche Versammlungen abhielten, die hauptsächlich der Verbreitung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse, weniger der Vereinspropaganda dienten. Für den betätigten Enthusiasmus und das Vertrauen zur Wissenschaft gab es gute Gründe, hatte doch das eben zu ende gegangene 19. Jahrhundert wissenschaftliche Fortschritte und Entwicklungen der technik gebracht, die tief in das Leben der Einzelnen und der Gemeinschaften eingriffen, revolutionäre Wandlungen der Gesellschaftsstruktur und der politischen Verhältnisse bewirkten oder vorbereiteten und vielfach eine Umwertung überlieferter Werte herbeiführten.
Stellvertretend für unzählige ndere seien hier nur folgende Namen genannt: Cuvier, Liebig, Darwin, Edward Tylor, Röntgen, Curie, Edison, D. F. Strauss, Eduard Reuss, Julius Lippert, Eduard meyer, Leopold v. Ranke, Adolf Bastian, Gustav nachtigall, Georg Schweinfurth, David Livingstone.
Und nur noch eine einzige Tatsache aus dem viel geschmähten 19. Jahrhundert: Napoleon und Goethe reisten in Pferdekutschen, Thomas Mann und Wilhelm II. per D-Zug mit 100 km/h, der letztere sogar im Sonderzug mit Salonwagen. Das manchmal mit Stolz gepaarte Vertrauen auf die Wissenschaft hab von Anfang an gewissen Leuten, insbesondere Gegnern, als Anlaß gedient, “den” Monisten in Bausch und Bogen eine “naive Fortschritts- und Wissenschaftsgläubigkeit” nachzusagen.
In der Tat sind einige Fälle bekannt, in denen Monisten in erregtem Enthusiasmus und euphorischer Stimmung von dem Fortschreiten von Wissenschaft und Technik wahre Wunderdinge erwarteten. Aber das waren ganz seltene Ausnahmen, die mit den Anhängermassen der “Wundergläubigkeit” in den religiösen Organisationen in keiner Weise gleichgesetzt werden dürfen. Haeckel, Ostwald, Arrhenius - um nur diese zu nennen - waren keine “Naivlinge”, und auch die anderen Wortführer des DMB waren vom Fortschrittsrausch nicht befallen. (...)


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